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Hier geht es zur französischen Webseite über Mel Bonis:

http://www.mel-bonis.com/

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Verschaffen Sie sich hier einen Überblick über die Werke der Komponistin.

 

                         Die Werke für Klavier

                                                           Dr. Eberhard Mayer   

 

 

Mel Bonis war eine gute Pianistin, auch wenn sie nur sehr selten als solche in Erscheinung getreten ist. Das Klavier war jedoch ihr ureigenes Instrument und Mittel schöpferischer Verwirklichung. Die Klavierkomposition durchzieht ihr gesamtes musikalisches Leben wie ein roter Faden, angefangen vom Impromptu As-Dur aus dem Jahre 1881 („Mon premier morceau“) bis zum Stück „Pour Françoise - Edouard Domange in memoriam“ aus dem Jahre 1932, einem ergreifenden Requiem auf den Tod ihres jüngsten Sohnes. Meist sind es Einzelstücke, nur gelegentlich zu Zyklen zusammen gefasst (Cinq pièces „Les princesses“ von 1909/13 und „Cinq pièces“ von 1929). Christine Géliot hat eine sinnvolle Einteilung  versucht, die auch der Neuausgabe der Klavierwerke als Grundlage dient. Unter Verzicht auf Chronologie wurden die Stücke in etwa nach Charakter und Schwierigkeitsgrad geordnet: „Femmes de légende“, „Pièces de concert“, „Pièces pittoresques et poétiques“ und „Pièces légères (Danses)“. Weitere Bände werden die vierhändigen und die Werke für zwei Klaviere enthalten.

 

In der Kategorie „Pièces légères“ finden wir unterhaltsame Stücke im Geschmack der Zeit, beliebt und verbreitet, komponiert ohne höheren Anspruch zum Tanz und zur Erbauung, meist in Form eines Walzers. Das bekannteste Stück dieser Art ist der Walzer „Les Gitanos“ (1891), Gewinner eines Wettbewerbs, den die Zeitschrift „Piano Soleil“ ausgeschrieben hatte. Einige andere Stücke dieses Genres wurden, sicher aus taktischen Gründen, unter Pseudonym veröffentlicht. Bisher sind die Namen Mélas Benissouvski und Henry Wladimir Liadoff bekannt geworden, hinter denen sich Mel Bonis versteckt hatte.

In der Kategorie „Pièces pittoresques et poétiques“ findet die Tradition des romantischen Klaviercharakterstücks ihre Fortsetzung. Anknüpfungspunkte sind Chopin, Mendelssohn und Schumann, jedoch mit einer deutlichen französischen Einfärbung. Es sind bezaubernde romantisch-impressionistische Stimmungsbilder, angeregt durch Naturphänomene und Dichtung. Dabei finden sich feinsinnige Strukturen von erstaunlicher Expressivität, die durch kontrapunktische Linienführung die solide klassische Ausbildung des Conservatoire verraten, jedoch ausgeschmückt sind mit einer oft an Debussy erinnernden vielschichtigen und raffinierten Harmonik. So sind in dieser reichhaltigen Sammlung wahre kleine Meisterwerke enthalten wie z.B. „Près du ruisseau“, „Le moustique“, „Au crépuscule“, „Il pleut“, „La chanson du rouet“ und viele andere, die eine wichtige Bereicherung der französischen Klaviermusik darstellen.

Die in den Kategorien „Pièces de concert“ und „Femmes de légende“ zusammengefassten Stücke sind mit hohem  Anspruch geschrieben, konzertant ausgerichtet, teils sogar orchestral konzipiert und anspruchsvoll, was technische Bewältigung und Interpretation betrifft. Als Beispiele seien genannt: die „Ballade“ von 1897, das umfangreichste Stück dieser Kategorie, die „Barcarolle“ von 1905 mit einer an das erste Klavierquartett erinnernden farbigen Harmonik, die „Barcarolle-Etude“ von 1899, dem Pianisten Daene gewidmet und zum Konzertgebrauch überlassen, und „La cathédrale blessée“ von 1915, bei dem sich Parallelen zu Debussys „La cathédrale engloutie“ aufdrängen.

 

Ähnlich wie ihre Zeitgenossin  Cécile Chaminade zeigte Mel Bonis sehr großes Interesse an der Musikausbildung von Kindern, in ihrem Fall vor allem der großen Schar von Enkelkindern. In der Zeit nach 1912 sind etwa siebzig Klavierstücke in sechs Bänden erschienen. Es sind Stücke, die der kindlichen Empfindungswelt angepasst sind und nicht wie bei Debussys „Children’s Corner“ oder bei Bizets „Jeux d’enfants“ Reflexionen Erwachsener auf die Kinderwelt.

 

Ihre Klavierkompositionen sind größtenteils veröffentlicht worden und erfreuten sich sowohl in Frankreich als auch in Deutschland einer gewissen Wertschätzung. Vielen ihrer Werke ist anzuhören, dass die harmonischen Neuerungen Debussys – in der Konservatoriumszeit einer ihrer Studienkollegen – sie fasziniert haben müssen, wie es die häufige Verwendung der Ganztonleiter, des Tritonus, der Chromatik und die Fülle der Arpeggien in ihren Werken bezeugen. Dennoch ist das Verhältnis zu Debussys Vorstellungen und seiner Musik nicht frei von Vorbehalten: „En musique, l’harmonie correspond à la couleur en peinture, aux matériaux de construction en architecture. Un Debussy emploie les matériaux les plus précieux, les gemmes brillantes et pâles, mais ses constructions n’ont ni plan ni grandeur. C’est un délicieux illustrateur de petites choses courtes ...“ („Die Harmonie in der Musik entspricht der Farbe in der Malerei, den Baustoffen in der Architektur. Ein Debussy verwendet die kostbarsten Baustoffe, glänzende und matte Edelsteine, aber seine Bauten haben weder Plan noch Größe. Er ist ein entzückender Illustrator kurzer, kleiner Dinge...“) (Mélanie  Bonis, Souvenirs et réflexions, Les Editions du Nant d’Enfer, 1974). Die impressionistischen „Edelsteine“ werden bei ihr souverän eingesetzt, aber immer mit einem an klassischen Vorbildern geschulten Gestaltungswillen, also nie mit der Tendenz zur Strukturauflösung wie bei Debussy. Auch seinem Weg heraus aus der Tonalität stand sie kritisch gegenüber, obwohl sie selbst gelegentlich in ihrer harmonischen Experimentierfreude Grenzen auslotete. Der Verbleib in der Tonalität war für sie Ausdruck innerer Überzeugung. Die prägenden Eindrücke ihrer Lehrer E. Guiraud und C. Franck blieben für sie lebendig und bestimmend.

 

Im Verlauf ihres Lebens und mit dem Fortschreiten ihrer psychischen Erkrankung verändert sich ihr Klavierstil. In der Musik der frühen Periode findet man das gesamte Spektrum emotionaler Ausdrucksmöglichkeiten, unterstützt durch eine anrührende Melodik und einen außergewöhnlichen harmonischen Erfindungsreichtum. Trotz gelegentlicher Anflüge eines subtilen Humors und häufiger Verwendung tänzerischer Rhythmen liegt aber bereits über vielen Kompositionen der früheren Zeit ein Hauch von Melancholie. Diese Tendenz verstärkt sich in ihrem letzten Lebensabschnitt, choralartige Motive tauchen auf und der Grundzug ist Resignation. Bei den wenigen in den späteren Jahren entstandenen Werken (z.B. „Cinq pièces“ von 1929) wird das Farbspektrum enger, die Komposition wird gestrafft und kantig, die einst blühende, schwelgerische Harmonik nüchtern und herb und die früher zu Herzen gehende  melodische Erfindung neutral und distanziert.

 

Für die meisten französischen Komponisten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Wende zum 20. Jahrhundert hat die Klavierkomposition nur eine untergeordnete Rolle gespielt; lediglich Camille Saint-Saëns und César  Franck haben wichtige Beiträge zu dieser Musikgattung geleistet. Dennoch hat bei keinem dieser Komponisten die Klavierkomposition so im Zentrum der schöpferischen Verwirklichung gestanden wie bei Mel Bonis und – bezieht man die Klavierkammermusik mit ein – bei Gabriel Fauré, die durch ihr reichhaltiges und anspruchsvolles Werk eine wichtige Brückenfunktion zwischen Louise Farrenc und den Impressionisten Debussy und Ravel einnehmen.

 

                                                                                                                                                                      

 

Der Verlag Furore hat die Aufgabe übernommen, neben etlichen Kammermusikwerken das Gesamtwerk für Klavier neu herauszugeben. Der letzte Band der Reihe, die Werke für zwei Klaviere, ist in Vorbereitung. Hier der Überblick über die Neuausgabe der Klavierwerke:

 

Œuvres pour piano/Klaviermusik/Piano Music

Edition en onze recueils/Edition in elf Bänden/Edition in eleven volumes

(Eberhard Mayer / Ingrid Mayer)

 

Vol. 1: Femmes de légende(4)(fue 4180 ISMN: 979-0-50012-918-9)

Inhalt: Mélisande op. 34 (2'41), Desdémona op. 101 (3), Ophélie op. 164 (6'), Viviane o. 80 (3'), Phoebé op. 30 (2'36), Salomé op. 100 (4'15), Omphale op. 86 (2'30)

 

Vol. 4: Pièces de concert  (4)(fue 4210  ISMN: 979-0-50012-921-9)

Inhalt: Prélude op. 51, Barcarole en mi bémol majeur op. 71 (3'40), La cathédrale blessée op. 107 (4'20), Etude op. 136, Romance sans paroles op. 56, Barcarolle-Etude op. 43, Sévillana op. 125 (3'10), Ballade op. 27 (3')

 

Vol. 2: Pièces pittoresques et poétiques A: 1881–1895  (3)(fue 4190 ISMN: 979-0-50012-919-6) 

Inhalt: Impromptu op.1, Rondo dans le genre ancien op. 7, Près du ruisseau op. 9 (3'50), Pensées d'automne op. 19 (3'40), Berceuse op. 23,1 (3'30) und "Cinq pièces musicales": Prélude op. 10 (3'30), Gai printemps op. 11, Eglogue op.12 (3'20), Aux champs op. 13 (4'), Menuet op. 14 (3')

 

Vol. 3: Pièces pittoresques et poétiques B: 1895–1905  (4)

(fue 4200  ISMN: 979-0-50012-920-2)

Inhalt: La chanson du rouet op.24 (3'10), Papillons op.28 (3'10), Romance sans paroles en la bémol majeur op. 29, Méditation op. 33,1 (3'), Marionnettes op. 42, Carillons mystiques op. 31 (3'), Barcarolle en si bémol majeur op. 41 posthume(3'40), Sorrente op. 61, Le moustique op. 66

 

Vol. 7: Pièces pittoresques et poétiques C: 1910–1932 (3)

(fue 10004  ISMN: 979-0-50012-347-7)

Inhalt: Echo op. 89 (3'), Narcisse op. 90 (3'15), L'ange gardien op. 99, Il pleut op. 102 (4'), Au crépusc e op. 111 (3'20), Près du moulin op. 115 (4'), Ariel op. 129 (3'), Dolorosa op. 138, Une flûte soupire op. 117 (4'), Berceuse triste op. 118 (3'30), Boston valse (valse lente) op. 119 (3'), Agitato op. 120 (3'10), Cloches lointaines op. 121 (3')

 

Vol. 5: Danses A (2/3) (fue 4220   ISMN: 979-0-50012-922-6) 

Inhalt: Etiolles (valse) op. 2 (3'10), Les Gitanos (Grande valse espagnole) op. 15 (3'), Mazurka op. 26 (3'20), "Suite en formes de valses": Ballabile op. 35 (3'), Interlude et Valse lente op. 36 (3'10), Danse sacrée op. 37 (6'), Scherzo-Valse op. 38 (3')

 

Vol. 10: Danses B (2/3)(fue10097  ISMN: 979-0-50182-097-9)

Inhalt: Viennoise (valse) op. 8, Orientale (valse) op. 38, Soirs d'antan (valse lente) op. 34, L'Escarpolette (valse) op. 52, Diamant noir (valse lente) op. 186

 

Vol. 11: Danses C (2/3) (fue 10138  ISMN: 979-0-50182-138-9)

Inhalt: Bourrée op. 62/1, Pavane op. 81/1; Sarabande op. 82/1, Black Pearl (Habanera) op. 70, Boléro op. 177, Mazurka-Ballet op. 181

 

Vol. 6: Pièces à quatre mains A (3)(fue 4230 ISMN: 979-0-50012-923-3) 

Inhalt: Pavane op. 81/2 (3'10), Six Valses-Caprice op. 87 (12'), Le songe de Cléopâtre op. 180/1 (3'50)

       

Vol. 8: Pièces à quatre mains B (3)

(fue 10025  ISMN: 979-0-50182-025-2)

Inhalt: "Suite en forme de valses" op. 39: Ballabile (3'), Valse lente (3'10), Scherzo-Valse (3'), Danse sacrée (3'20), Interlude et Bacchanale (3'10), Les Gitanos (Valse Epagnole) op. 15/2 (3')

 

Vol. 9: Œuvres pour deux pianos (4)

(fue 10026 ISNM: 979-0-50182-026-9)

Inhalt: Scherzo op. 40, Variations op. 85

 

 

 

 

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                         Klavierstücke für Kinder

 

                            

 

In der Entstehungszeit ihrer großen Kammermusikwerke hatte sich Mel Bonis noch  tatkräftig und mit Erfolg um die Verbreitung ihrer Musik gekümmert. In ihrem letzten Lebensabschnitt fehlt ihr hingegen die Energie dazu – nur der musikalischen Förderung ihrer vielen Enkelkinder widmet sie sich noch mit Hingabe. So entstehen zahlreiche Stücke für Kinder - ihren Enkelkindern oft namentlich zugeeignet -, die auch Verleger finden. Zwei dieser Bände sind auch heute noch in den Originalausgaben erhältlich:

 

Miocheries, op. 126, éd. Eschig, Paris 1936

Inhalt: Première Solitude (Pour commencer), Air connu (pour Jeanine), Ronde (Pour Daniel), Le Moulin (Pour Etienne), Fifille sage (Pour Huguette), La leçon de solfège (Pour Claude), A pas de loups (Pour Bernard), Patineurs à roulettes (Pour Gilbert), Croquemitaine (Pour eux tous), ...Plutôt une vieille danse française (Pour Denise), Joyeux scouts (Pour Guy), Pique-nique (Pour Michel), La toute petite s'endort (Pour Martine), Les noces de Polichinelle (Pour tous)

 

und

 

Album pour les tout-petits, op. 103, A mes petits-enfants, éd. Combre

Inhalt: La toupie; Le petit mendiant; Marionnettes;  Le baptême; Compliment à Grand-mère; La machine à coudre; Gros chagrin; Colère; Gouttes de pluie; Monsieur Vieuxbois; La clé des champs; Au temps jadis; Câlineries; Prière; Miaou Ronron; Madrigal; La puce; Dans la montagne; Mireille au piano; Douce amie

 

                                  

 

Dieses Stück ist Huguette Géliot, einer der noch lebenden Enkelinnen der Komponistin, gewidmet. Sie ist eine bekannte Harfenistin.

 

 

                       

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                     Die Kammermusik mit Flöte

 

 

                                  

                         www.editionkossack.de

 

Mel Bonis hat ein  vielseitiges Oeuvre hinterlassen – Werke für Klavier, Orgel, Gesang mit unterschiedlicher Begleitung, Kammermusik und Orchesterwerke – sehr französisch in der Atmosphäre, formbewusst, farbig in der Harmonik mit Ausflügen in impressionistische Bereiche, jedoch nie den Boden der Tonalität verlassend.

Die Flöte als Kammermusikinstrument nimmt im Schaffen der Komponistin einen sogar für französische Verhältnisse ungewöhnlich bedeutenden Platz ein, teils als Soloinstrument mit Klavier, teils als Bestandteil unterschiedlicher Kammermusikbesetzungen.

 

                                 Flöte und Klavier

 

1904 erscheint die Flötensonate in cis-moll, op.64, die Louis Fleury gewidmet ist, dem berühmten Flötenlehrer am Conservatoire und Freund der Familie. Es ist ein groß angelegtes viersätziges Werk, ganz aus dem Charakter der Flöte, dem Instrument der Leichtigkeit und des Lichts, heraus empfunden, das selbst im flötenfreundlichen Frankreich ohne Beispiel ist. Sie ist mit ihrer poetischen Stimmung das französische Pendant zur "Undine"-Sonate Carl Reineckes, dem Musterbeispiel der deutschen Flötenromantik. Von den Spielern wird eine hohe Spielkultur und ein souveräner Umgang mit den Besonderheiten der spätromantisch-impressionistischen Klangwelt verlangt. Höhepunkt ist der langsame Satz mit einem tief empfundenen, wehmütigen Thema, und als Kontrast ein scherzoartiger Mittelteil, in dem sich das Hauptthema des langsamen Satzes durch jazzartig swingende Rhythmen in eine lebendige, tänzerische Variante verwandelt, die nach der Rückkehr zum ursprünglichen langsamen Tempo noch einige Male in der Klavierstimme auftaucht. Unverständlich, dass dieses Werk so lange unentdeckt geblieben ist, und es gehört nicht viel prophetische Gabe dazu vorherzusagen, dass diese Sonate sich das Repertoire der Kammermusikflötisten erobern wird.

(Elf Einspielungen der Flötensonate bis heute - Januar 2015 - zeugen von der Richtigkeit dieser Vorhersage meines Mannes! Ingrid Mayer)

 

                       

        der Anfang des 3. Satzes der Flötensonate (Ed. Kossack)

 

In der Besetzung für Flöte und Klavier gibt es noch fünf kleinere Stücke. Die Pièce pour flûte, op. 189, existierte bisher nur als undatiertes Manuskript. Es ist jedoch unverkennbar der frühe Kompositionsstil, so dass eine Entstehungszeit um 1900 anzunehmen ist. Dieses kleine melodiöse Meisterwerk wird ebenso wie die anderen kleineren Stücke eine Bereicherung der Flötenliteratur sein.

 

Das Air vaudois, op. 108, ist eines der wenigen Stücke, die im Krieg entstanden sind, und es existierte ebenfalls nur als schwer lesbares Manuskript. Bei einem Besuch der Komponistin in der Schweiz entstanden und einem waadtländischen Volkslied nachempfunden, atmet es die Atmosphäre der Almen und die Weite der Bergwelt.

 

Andante et Allegro, op. 133, ist eines der wenigen Spätwerke, das veröffentlicht worden ist. Einem melodiösen Andante mit wiegendem Flötenthema folgt ein kurzes, von Rhythmus und Chromatik geprägtes Allegro, bei dem die Nähe zum Impressionismus nicht zu überhören ist.

 

Ganz impressionistisch gibt sich das kurze Stimmungsbild Une flûte soupire, op. 121, ein umgearbeitetes Klavierstück aus der Sammlung "Cinq pièces" von 1925. Der Titel selbst verrät schon die klanglichen und ästhetischen Vorstellungen der Komponistin, so dass folgerichtig 1936 diese Bearbeitung für Flöte und Klavier erschienen ist.

 

Scherzo (Final),  op. posth. 187, Unter den aufgefundenen Manuskripten befand sich auch ein gewisses "Final". Das Blatt trägt die Seitenzahl 25, die Seiten 1-24 blieben verschwunden. Es handelt sich offensichtlich um das Ende eines - undatierten - Stückes für Flöte und Klavier. Es könnte der Schlusssatz einer Suite sein, da Strukturelemente eines letzten Sonatensatzes fehlen. Da keine Hoffnung mehr besteht, den Rest des Werks noch zu finden, haben wir beschlossen, dieses Finale in seiner vorliegenden Form zu veröffentlichen, allerdings unter dem neuen Titel "Scherzo", der seinem Charakter gut entspricht. Dieses Stück voller Heiterkeit und Lebenskraft zeugt von der engen Verbundenheit der Komponistin und der Flöte. Das Stück erfordert von beiden Spielern eine gute Beherrschung ihres Instruments. (Christine Géliot / Ingrid Mayer 2008)

                                                                                                                        

                   Weitere Kammermusik mit Flöte 

 

Die erste Flötenkomposition in Kammermusikbesetzung ist die Suite in e-moll, op. 59, für Flöte, Violine und Klavier von 1903, ein Werk voller Esprit und Wohlklang, von der Komponistin selbst sehr geschätzt und liebevoll „mon petit trio“ genannt. In den drei Sätzen – Sérénade, Pastorale und Scherzo – erlebt man, wie mit einfachen melodischen Linien bei souveränem Einsatz kompositorischer Mittel wirkungsvolle Musik entstehen kann.

 

Bei den Scènes de la forêt, op. 123, für Klavier, Flöte und Horn (Manuskript 1928) handelt es sich wahrscheinlich um die spätere Bearbeitung eines Preisstückes von 1905, in dem zwei Blasinstrumente und Chromatische Harfe als Instrumentation vorgegeben waren. Die vier Sätze „Nocturne“, „A l’aube“ (In der Morgendämmerung), „Invocation“ (Anrufung) und „Pour Artémis“ sind beschreibende, der Natur abgelauschte oder eine Stimmung reflektierende spätromantisch-impressionistische Klangbilder von erstaunlicher harmonischer Fantasie und Kühnheit.

   

Die Suite dans le style ancien, op. 127, für Flöte, Klarinette (Viola) und Klavier existiert außerdem noch in einer zweiten Fassung für Bläserseptett (zwei Flöten, Oboe, Klarinette, Horn und zwei Fagotte). Die vier Sätze – „Prélude“, „Fugue“, „Choral“ und „Divertissement“ – sind ein Spiegel der unterschiedlichen Klangwelten ihres Altersstils: einem impressionistischen Prélude folgt eine Fuge als kontrapunktisches Intermezzo. Ruhepunkt des Werks ist ein Choral, der von einem Divertissement abgelöst wird, in dem sich der etwas skurrile Humor der Spätzeit artikuliert, möglicherweise auch als musikalischer Gruß an die „Groupe des Six“ um Francis Poulenc und deren Revolte gegen den Schwulst der damaligen großen Musikszene gemeint. Kein Zweifel, dass das Werk auch in der Bläserseptettfassung klanglich gut zur Wirkung kommt.

 

Die relativ früh entstandene Suite orientale, op. 48, von 1900, ursprünglich für die Besetzung Klavier, Violine und Cello komponiert, wurde einige Zeit später für Orchester umgearbeitet, kommt aber auch in der Besetzung für Flöte, Cello und Klavier klanglich gut zur Wirkung. Einem stimmungsvollen impressionistischen „Prélude“ folgen die Sätze „Danse d’Almée“ und „Ronde de nuit“, in denen die Komponistin ihren Tribut an die damals modischen Exotismen entrichtet.

 

Von besonderem Interesse auch für Flötisten ist die Septett-Fantasie, op. 72, für Klavier, zwei Flöten und Streichquartett, eine Kammermusikfassung der 1910 im Rahmen der Concerts Colonne in Paris unter Gabriel Piernés Leitung uraufgeführten Fantasie für Klavier und Orchester. Es ist ein außerordentlich konzentriertes und sorgfältig gearbeitetes, bis in den letzten Takt durchdachtes und ausgefeiltes Werk – durchaus nicht, wie uns das Notenbild der Partitur beim ersten Anblick suggerieren möchte, ein Stück für solistisches Klavier und begleitendes Ensemble. Den Flöten und Streichern kommen sehr wichtige thematische und melodische Funktionen zu, und das Klavier schwankt zwischen führender, verbindender und atmosphärischer Funktion, meist mit dem Ziel der Klangsynthese, und hat nur ganz ausnahmsweise solistische Aufgaben. Das Werk ist zwar ein geschlossenens Gebilde mit fließenden Übergängen, zeigt jedoch in der Anlage noch die klassische Viersätzigkeit: "Modéré", "Scherzo", "Très lent" und "Très vif". Die Schönheit der Melodien und die abwechslungsreiche, schwelgerische harmonische Auskleidung bei souveräner Beherrschung der kompositorischen Mittel rechtfertigen in jedem Fall den Versuch der Wiederbelebung dieses interessanten Werks.

 

Dass Kammermusikwerke von dieser Schönheit und Bedeutung fast hundert Jahre lang unbeachtet blieben, gehört sicher zu den großen Fragwürdigkeiten des neueren Musiklebens und lässt nachdenklich werden, wenn man die musikästhetische Entwicklung des 20. Jahrhunderts vor Augen hat.

 

 Eberhard Mayer in: Flöte aktuell, 3/2001

 

                                      

 

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Weitere Kammermusik für drei und mehr Instrumente

 

Soir.Matin, op. 76, für Violine, Violoncello und Klavier

Matin“ ist der wichtigste Beitrag der Komponistin Mel Bonis zum französischen Impressionismus“, sagt Eberhard Mayer 2003 im Vorwort seiner Neuausgabe der beiden Trios im Verlag Furore.

Während in Soir große gesangliche Melodiebögen dominieren und eine Abendstimmung mit beschaulicher und beruhigender Atmosphäre gezeichnet wird, verschmelzen in Matin die drei Instrumente zu einem irisierenden Gesamtklang, der den Vogelgesang und das Rauschen im Blätterwerk, das Spiel des Lichts in den Tauperlen und die beginnende Morgenröte heraufbeschwört. Schillernde Harmonien und ungewöhnliche Chromatismen bringen einen Hauch von Orient hinein. Ganztonleitern und unendlich viele Modulationen reichen nichtselten in Grenzbereiche der Tonalität.

 

Die Klavierquartette

 

Zitat aus der Zeitschrift FonoForum: „Ihre vor allem harmonisch sehr avancierten, einfallsreichen und handwerklich meisterlichen Quartette gehören mit zu den bedeutendsten französischen Kammermusikwerken des frühen 20. Jahrhunderts und sollten auch hierzulande schnellstens Eingang in die Konzertprogramme finden.“

 

                                                   

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Quatuor n° 1 en si bémol, op. 69

 

Das erste Klavierquartett in B-dur ist das Hauptwerk ihrer Kammermusik und zweifellos das Werk, dem sie sich in der Zeit ihrer vollen schöpferischen Reife mit der größten Hingabe gewidmet hat. Es ist das Ergebnis einer fünfjährigen Kompositionsarbeit, 1900 in der Abgeschiedenheit des Landsitzes Etiolles entworfen und begonnen, aber erst 1905  veröffentlicht. Ständige kritische Überprüfung bei solider Beherrschung des kompositorischen Handwerks und eine in dieser Zeit für sie typische Melodik, die in ihrer Ursprünglichkeit anrührt und gefällt, führten zu einem sorgfältig durchdachten und konzentriert gestalteten Werk. An die Ausführenden werden hohe Anforderungen an instrumentale Fertigkeit, klanglich-harmonische Sensibilität und kammermusikalisches Einfühlungsvermögen gestellt.

   Die vier Sätze ("Moderato", "Intermezzo. Allegretto tranquillo", "Andante", "Finale. Allegro ma non troppo") sind trotz der verbindenden typischen Handschrift der Komponistin von unterschiedlichem Charakter. Gleich im ersten Satz wird uns ein kunstvolles polyphones Gebilde vorgestellt. Im quasi rhapsodischen Geschehen gerät man auf komplizierten modulatorischen Pfaden bis in die entlegensten Tonarten und entdeckt erst auf den zweiten Blick den klassischen Zuschnitt mit allen seinen Merkmalen: Themendualismus, Exposition, Durchführung und Reprise. Der zweite Satz beginnt in einfacher, ländlerartiger Melodik und entwickelt sich nach und nach zu einem zarten romantisch-impressionistischen Gebilde von erstaunlicher Kunstfertigkeit. Der dritte Satz ist eines der inspiriertesten und ergreifendsten Musikstücke der Komponistin. Die Wehmut dieses Satzes wird abgelöst durch die zupackende Kraft des Finalsatzes mit seinen an César Franck erinnernden polyphon bearbeiteten Themen.

„Bei diesem Werk weiß man nicht, was man mehr bewundern soll“, schreibt Eberhard Mayer an anderer Stelle, „die Schönheit der Melodien, die Originalität der harmonischen Einfälle oder die Qualität der Verarbeitung des musikalischen Materials."

 

 

                                  

 

Quatuor n° 2 en ré majeur, op. 124

 

Ihre zwei Quartette für Klavier, Violine, Viola und Violoncello hat Mel Bonis im Abstand von mehr als 20 Jahren komponiert, das erste 19051, das zweite 1927. Jedes dauert ungefähr eine halbe Stunde. Das zweite ist kühner in den Harmonien und in der Struktur. Man spürt den Einfluss der modernen Musik in einem Werk, das man noch als postromantisch bezeichnen kann.

   Als das Quartett D-Dur veröffentlicht wurde, war Mel Bonis fast 70 Jahre alt, verbrachte den Tag im Liegen, schlief nicht, aß fast nichts und litt unter den unterschiedlichsten Schmerzen, die man heute als psychosomatisch bezeichnen würde. Unglaublich ist der Gegensatz zwischen dieser alten Dame, die an einer schweren chronischen Depression leidet, und der Musik, die sie erschafft, eine Musik voller Vitalität und Erfindungsgabe, voller Feuer und Sinnlichkeit. Bemerkenswert im Aufbau und reich instrumentiert, ist es homogen und abwechslungsreich zugleich.

Sie selbst nannte dieses Werk ihr musikalisches Testament.

 

   Gewidmet ist dieses Quartett Gabriel Pierné, den Mel Bonis seit ihrer Konservatoriumszeit, wo ihre Wege sich in der Orgelklasse César Francks gekreuzt hatten, kannte und schätzte.

   Das Quartett in D-Dur umfasst vier Sätze: "Moderato", "Allegretto", "Lent", "Final. Allegro".

   Den Anfang macht ein besinnlicher und religiöser Choral, dem ein energisches und lebhaftes "più vivo" folgt, das gegen Ende zur meditativen Stimmung des Anfangs zurückkehrt.

   Der zweite Satz, "Allegretto", lässt an eine  zarte Stickerei denken, ist dabei aber voller Überraschungen, Akzente und Brüche, in dem sich Jazzwalzer und ländliche Impressionen begegnen. In Tempo und Stil an die ‚Boston-Mode’ angelehnt, entspricht es ganz dem Zeitgeschmack.

   Der dritte Satz trägt die Bezeichnungen „Langsam, ruhig und beschaulich“. Das Klavier führt hin zu einer immensen Phrase der Violine, die in einen eng verschachtelten und subtilen Dialog der Instrumente übergeht, um in einer fast unwirklichen Ruhe zu enden. Dieser Satz illustriert aufs Schönste, was Mel Bonis in ihren „Souvenirs et réflexions“ so ausdrückt: „Die Musik ist der ewige Kampf der Sehnsucht um das Glück, ein angespanntes Streben jedes sensiblen, herzlichen Wesens nach einer Sache, die uns gleichzeitig zulächelt und sich uns entzieht.“

   Das schwungvolle und mitreißende "Final. Allegro" mündet in einen strahlenden, leuchtenden Schluss.

 

 

                           

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         Werke für Violine und Klavier (Auswahl)

 

 

Sonate für Violine und Klavier, op. 112

 

Die Violinsonate in fis-moll ist 1923 vom Pariser Verlag Senart ver-öffentlicht worden. Die Harmonik und der Kompositionsstil lassen aber vermuten, dass sie schon früher, also noch in der großen schöpferischen Phase der Komponistin vor 1914 entstanden ist. Sie gehört zusammen mit der Cello- und der Flötensonate, dem ersten Klavierquartett und dem Septett zu ihren bedeutendsten Kammermusikwerken.

Die Sonate  ist ein sehr anspruchsvolles Werk und verlangt von den Interpreten hohe Spielkultur und Souveränität im Umgang mit den Besonderheiten der französisch-spätromantischen und impressionistischen Klangwelt.

Sie ist viersätzig und beginnt mit einem "Moderatosatz", der sich durch rhythmische Verschleierung, chromatische Linien und eine Fülle von Seufzer- und Sehnsuchtsmotiven zu einem eindrucksvollen Seelengemälde voller Wehmut entwickelt. Dieser Satz ist ein Musterbeispiel des romantisch-polyphonen Kompositionsstils, der die strenge Schule eines Ernest Guiraud verrät und stilistisch an César Franck erinnert, allerdings konequenter in der Faktur und kühner in der Harmonik. Ein temperamentvolles "Scherzo (Presto)" voller Witz und Charme – der Kontrast könnte nicht größer sein – schließt sich an und bildet die geistvolle Überleitung zum dritten, dem eigentlichen langsamen Satz ("Lento"). Dieser ist eine beeindruckende Fantasie über ein griechisches Volkslied mit durchaus orientalischen Anklängen, das einer Volksliedsammlung von Bourgault-Ducoudray entnommen ist. Dritter und vierter Satz sind thematisch eng miteinander verbunden. Das Hauptthema des "Finalsatzes (Con moto)" ist nach einer im langsamen Satz eher beiläufig auftretenden Floskel (con morbidezza) gebildet und zu einem lebendigen und sehr eindrucksvollen Gesangsthema umgestaltet. Der Takt wechselt fast ständig, so dass der Eindruck eines schwebenden Rhythmus entsteht.

Es ist nicht zu verstehen, warum sie im gegenwärtigen Musikleben nicht einen würdigen Platz in der Reihe der großen französischen Violinsonaten (C. Franck, Saint-Saëns, Fauré, Debussy) einnimmt.

 

Suite pour violon et piano op. 114 (1926)

 

Während die meisten Kammermusikwerke in der Zeit zwischen 1900 und 1914 entstanden sind, ist die Suite pour violon et piano en do majeur op. 114 ihrem Spätwerk zuzuordnen. Das Manuskript die Jahreszahl 1926, wurde aber nie herausgegeben, und es findet sich nirgendwo eine Anspielung auf eine etwaige Aufführung.

Mel Bonis war eine ausgezeichnete Pianistin und das Klavier  ihr ureigenstes Instrument. So ist es nicht verwunderlich, dass das Klavier wie in den übrigen Kammermusikwerken auch hier eine wichtige Rolle spielt.

Trotz des klassisch nüchternen Titels ‚Suite in C-Dur’ lässt die Bezeichnung der drei Sätze – „Jour de fête" (Festtag), „Sous la ramée" (Unterm Laubdach)– in anderen Manuskripten mit „Eglogue" (Hirtengedicht) oder „Idylle“ bezeichnet - und „Cortège champêtre" (Ländlicher  Umzug) - vermuten, dass  Szenen aus dem Landleben der Komponistin als Quelle der Inspiration  dienten.

Der erste Satz – „Jour de fête" – überrascht mit seiner vegetativen Struktur: melodische Linien spielen umeinander, das Metrum (3/4  + 2/4) wird durch Überbindungen vage und schwebend, impressionistische Klänge und Sekundcluster öffnen die Struktur. Natürlich erfolgt auch schon im ersten Satz mehr: Es folgt ein gesangliches Intermezzo im 3/4-Takt  und schließlich noch eine Art Galopp im 2/4-Takt, der auf das Ende zustürmt. Dieses wird besiegelt durch das gleiche Glissando-Motiv, mit dem der Satz begonnen hat (es erinnert übrigens an den bekannten Anfang von Gershwins ‚Rhapsodie in Blue’, die 1924 erstmalig aufgeführt wurde): Alle expandierenden Kräfte wollen immer wieder zusammengehalten werden - fast  ein Symbol für das eigene  schicksalsreiche Leben der Komponistin.

Der zweite Satz – „Sous la ramée“ – beginnt verträumt mit einer leisen, kreisenden Melodie im Klavier, ähnlich wie Debussy es in dem kleinen Stück ‚The little Shepherd’ aus ‚Children’s Corner’ (1908) getan hat, um sich dann in epischer Breite im 9- u.6/8-Takt auf Reisen zu begeben, bis zwei gemahnende leise Gongschläge den Fluss unterbrechen. Ihnen folgt ein entrücktes Klang-Spiel, sphärisch, und so bleibt der Schluss, wiederum mit den zwei Gongschlägen schließend, rätselhaft offen.

Der letzte Satz – „Cortège champêtre“ – führt wieder auf die Erde zurück: burlesk, erdig, holzschnittartig, kantig, fast ein Marsch. Hier dominiert der Rhythmus. Das klare C-Dur, das im zweiten Satz zugunsten entfernterer (Klang)Welten verlassen wurde, kehrt mit Macht zurück. Tanzartige Szenen erweitern das Spektrum. Die sich aufbauenden strahlenden Fanfaren werden allerdings gegen Ende noch einmal  mehrfach gebrochen, die naive Unbeschwertheit weicht einer reflektierten heiteren Gelassenheit. So klingt die Musik aus und nach.

Diese kleine Charakterisierung der Suite lässt vielleicht schon ahnen, dass das Werk sowohl in technischer als auch in musikalisch-interpretatorischer Hinsicht anspruchsvoll ist und von den Ausführenden klanglich-harmonische Sensibilität und rhythmische Standfestigkeit verlangt. Sofern man dies bei der Erarbeitung bedenkt, wird einen das Stück für die Mühen belohnen. (Werkanalyse: Friedwart Goebels)

 

                             

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                  Werke für Cello und Klavier

 

Sonate pour violoncelle et piano en fa majeur, op. 67

 

Die Cellosonate, ein konzentriertes, knapp gefasstes Werk, erscheint 1905 kurz vor dem ersten Klavierquartett.  Sie beginnt in einer langsamen Einleitung mit kräftigen melodischen Cello-Linien, arpeggierend begleitet vom Klavier; der folgende Allegrettoteil ist eine originelle Auseinandersetzung mit der Harmonik Debussys. In traditioneller Form spielt die Komponistin souverän und gekonnt mit harmonischen Verfremdungseffekten. Chromatische Linien, Ganztonleitern und die daraus entstehenden Intervalle, übermäßige Quinten, Tritonusschritte und verminderte Quarten sind die Bausteine, die sich mit der meist arpeggierenden Klavierstimme zu einer eigenartigen Atmosphäre verdichten. Im letzten Satz ist trotz aller Verschachtelung César Francks Einfluss spürbar. Der Satz endet in einem furiosen Schlussteil, der das lyrische Seitenthema der Einleitung des 1. Satzes im Maestoso in Erinnerung bringt.

 

Méditation, op. 33

 

Die Méditation für Violoncello und Klavier hat Mel Bonis ihrer Freundin Jeanne Monchablon gewidmet. Es ist ein melodisches ‚Lied ohne Worte’, das den Klang des Instrumentes schön zur Geltung bringt.

 

Sérénade en ré majeur, op. 46

 

Auch die Sérénade ist ein Stück für Violoncello und Klavier, von dem es auch eine Fassung für Violine und Klavier gibt. Es ist ein zauberhaftes, humorvolles Stück, über dem ein Hauch von Koketterie liegt.

 

                              

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                                       Das Orgelwerk

 

                 

 

 

„Mels kleine Kostbarkeiten“ – so lautet der Titel einer Rezension der beiden 2012 neu erschienenen Bände der Orgelwerke von Mel Bonis, die Torsten Laux für die Zeitschrift „Musik & Kirche“ verfasst hat.

 

Ohne wirklich an diesem Instrument ausgebildet worden zu sein, spielt Mel Bonis ihr ganzes Leben lang Orgel: auf der Suret-Orgel in Sarcelles, wo die Familie ein Landhaus besitzt und wo sie auch ihre letzten Lebensjahre verbringen wird, auf der Cavaillé-Coll-Orgel in Etretat, wo sie ihre Ferien verbringen, auf ihrer eigenen Orgel in ihrem Stadthaus in Paris. Sie unterhält Kontakte zu zahlreichen Organisten, die sie bei der Registrierung ihrer Werke unterstützen. Überall spürbar ist der Einfluss des von ihr hochverehrten César Franck, in dessen Orgelklasse sie in ihrer Konservatoriumszeit hospitieren durfte.

 

Am Schluss seiner Rezension schreibt Torsten Laux:“… Ihre Verleger waren vor allem daran interessiert, Subskribenten mit immer neuer Musik für Harmonium zu versorgen, die Komponistin wünschte sich aber zur Wiedergabe ihrer Musik eine große Kirchenorgel (die sie allerdings selbst nicht zur Verfügung hatte). Jedoch zeigen sich die Vorzüge ihrer Orgelmusik vor allem in ihrer charmanten Wirkung auf eher kleinen Instrumenten (notfalls auch ohne Pedal); die meisten Stücke von einigem Wert sind dort sehr gut aufgehoben und geeignet, in bescheideneren Verhältnissen aufgeführt zu werden, besonders in Gottesdiensten, aber auch in Konzerten. Eine Fundgrube liebenswürdiger kleiner Kostbarkeiten!“

 

Mel Bonis: L’Œuvre pour orgue. Hrsg. von Georges Lartigau. 2012. Edition Armiane. 2 Bände. Vertrieb: www.editionsmusicalesfortin.com

 

  

                                     

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Die Vokalmusik

 

Neben den auf der Seite « Aktuelles » vorgestellten weltlichen und geistlichen Liedern, die jetzt in einer dreibändigen Neuausgabe vorliegen, hat Mel Bonis etwa ein Dutzend relativ kurzer, religiös inspirierter  Motetten komponiert, einige für 4-stimmigen Chor a capella wie Inviolata, Adoro te oder das Ave verum, andere mit Orgelbegleitung wie O Salutaris, wieder andere für zwei Frauenstimmen wie Sub tuum, das Salve regina und das schon beschriebene Regina coeli, das in seiner Innigkeit bei vielen Chören großen Anklang findet. Hinzu kommen ein Tantum ergo für drei Männerstimmen und ein Panis angelicus für Sopran, Tenor und Orgel.   

 

Eine große Überraschung war 1998 die Entdeckung eines kleinen Stapels verstaubter Manuskripte unter einem Haufen Notenpapier im Keller ihrer Enkelin Yvette Domange: Wir hatten ein Kyrie, ein Gloria, ein Benedictus, ein Sanctus und ein Agnus Dei gefunden! Christine Géliot hat dieser bei Armiane verlegten Messe von ca. 20 Minuten Dauer den apokryphen Titel „Messe à la sérénité“ gegeben.

 

Ein letztes Chorwerk entstand 1934: das etwa 10-minütige Cantique de Jean Racine für vierstimmigen Chor, einen Solo-Tenor, Harfe und Orgel – berührend in seiner geistlichen Inspiration.

 

Einige Lieder und alle Chorwerke sind als CD-Aufnahme verfügbar über die Seite der Association Mel Bonis unter www.mel-bonis.de  

 

                                   

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Suite für Schlagzeug, Blasinstrumente und Klavier:

 

Die SYMPHONIE BURLESQUE

 

Die „Symphonie burlesque“ von Mel Bonis ist ein fantasievolles Werk, das in vier Sätzen die Geschichte eines Ausflugs aufs Land erzählt: Man fährt ins Grüne, picknickt, genießt die ländliche Umgebung und kehrt – nicht ohne Probleme – heim. Zwischen Regengüssen und Sonnenschein erklingt die Tonkinoise und die Marseillaise.

Mir scheint dieses Werk besonders geeignet zu sein für ein Schlagzeug-Ensemble junger Musiker. Es könnte Mittelpunkt eines wirkungsvollen Abschlusskonzerts am Schuljahrsende sein, bei dem sich Schlagzeuggruppe, hohe Melodieinstrumente und das Klavier zusammentun. Voraussetzung für eine Aufführung ist ein gewisses Anspruchsniveau der Spieler.

Man kann sowohl die ganze Suite als auch einzelne Sätze spielen. Die Besetzung richtet sich nach den Möglichkeiten der Ausführenden. Die Zwiebelflöten (Mirlitone) können beispielsweise durch Piccoloflöten ersetzt werden.

 

BESETZUNG

Erschienen im Verlag FORTIN

 

                               

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Die Werke für Orchester

 

Mel Bonis’ Werk für Orchester setzt sich aus mehreren Einzelstücken oder Suiten zusammen, die parallel zu Klavier- oder Kammermusikwerken entstanden. Insgesamt handelt es sich um ein Korpus von dreizehn orchestralen oder konzertanten sinfonischen Werken recht unterschiedlicher Art, das Stücke eher leichteren Charakters wie auch komplexere Werke umfasst. Die Entdeckung dieses sinfonischen Ensembles ist die letzte große editorische Aufgabe auf dem Weg der Wiederbelebung des Werks der Komponistin. Bis auf wenige Ausnahmen gibt es keinen Beweis dafür, dass diese Werke zu ihren Lebzeiten aufgeführt wurden. Der Zustand, in dem wir sie aufgefunden haben – handschriftliche Partituren, fehlendes Stimmenmaterial – zeigt im Übrigen, dass es keine Aufführung gegeben haben kann.

Mit ihrer verschwenderischen Klangfülle scheinen uns diese Werke aus der Vorstellungswelt von Mel Bonis wie durch Zauberei aus einer fernen Vergangenheit zu erreichen. Hier liegt ein Ensemble vor uns, das eine wesentliche Rolle im musikalischen Œuvre dieser Frau und Komponistin spielt. Es offenbart ihre schöpferische Kraft und führt uns von Werk zu Werk tiefer ins Innerste ihrer Seele und ihrer Sensibilität.

 

Suite en forme de Valses

Die Suite en forme de Valses umfasst drei Stücke:

Ballabile op. 37/3; Interlude et Valse lente op. 38/3 und Scherzo-Valse op. 35/3

Besetzung: 1.1.2.1.-2.0.0.0., Timp, Str

Die Erstausgabe erschien 1898 bei A. Leduc in Paris. Es ist den jungen Ehefrauen ihrer beiden ältesten Stiefsöhne gewidmet: „A Mesdames Adèle et Marguerite Domange“.

Das gut konstruierte Werk erzeugt, seinem „Saloncharakter“ entsprechend, eine Atmosphäre eleganter, zeitweise orientalisch gefärbter Leichtigkeit. Während Ballabile ein orientalisch geprägtes Tanzstück ist, folgt in Interlude et valse lente auf eine melancholische Einleitung ein zauberhafter Walzer. Mit Leichtigkeit und Eleganz verbindet Scherzo-Valse zwei originelle und anmutig entwickelte Themen und beschließt die Suite mit einer heiteren Note.

 

Danse sacrée op. 36,3

Besetzung: 1(Picc).1.2.1.-2.0.0.0., Timp, Str

Auch die Danse sacrée trägt die Widmung „A Mesdames Adèle et Marguerite Domange“.

In einer Version für Klavier zu vier Händen ist sie Teil der Suite en forme de valses, die 1898 im Verlag Leduc erschien. In der Orchesterfassung wurde sie als Einzelausgabe veröffentlicht. In diesem Salonmusikensemble nimmt die Danse sacrée  ganz offensichtlich eine Sonderstellung ein. Ihr außergewöhnlich langsamer Dreierrhythmus mit seinem orientalisierenden und fast quälenden Charakter führt die Zuhörenden wie im Traum über einen faszinierenden Weg in einen tranceähnlichen Zustand. Die Instrumentierung ist prächtig. 

 

Les Gitanos op. 15 /3

Besetzung:2.1.2.2.-2.2 (Kolbenhörner).3.0., Perc, Str

Ein Klavierauszug und getrennte Orchesterstimmen erschienen zum ersten Mal 1904 bei Hamelle. Mel Bonis widmete es ihrem Vater.

Für die Klavierfassung dieses spanischen Walzers voller Schwung und Humor hatte Mel Bonis 1891 bei einem Kompositionswettbewerb der Musikzeitschrift „Piano Soleil“ den 1. Preis gewonnen. Der Verlag Hamelle veröffentlichte dieses Erfolgsstück unmittelbar danach auch in einer vierhändigen Fassung. Mehr als zehn Jahre später erschien ebenfalls bei Hamelle eine von A. D. Gauwin erstellte Orchesterfassung.

 

Suite Orientale op. 48

Besetzung : 2.2.2.2.-4.2.3.0, Timp, Perc,Harp,Str

Die Suite umfasst zwei Sätze: Prélude und Danse d’Almée. Es gibt ein undatiertes Manuskript der Partitur, aber keine Stimmen. Im Katalog ihres Sohnes Pierre finden wir die Bemerkung: „Die Ochesterpartitur liegt bei Durand, aber nur Prélude und Danse d’Almées.“

Im März 1899 kommt in der Salle Pleyel eine viersätzige Suite Orientale für Oboe, Horn, Cello und chromatische Harfe von Mel Bonis anlässlich eines Konzerts der Société des Compositeurs zur Aufführung. 1900 erscheint bei Durand eine dreisätzige Suite für Violine, Violoncello und Klavier.

Die Orchesterfassung erfährt ihre Erstaufführung am 15. Dezember 1906 bei den Concerts Berlioz unter der Leitung von Pierre Monteux. In einer zeitgenössischen Kritik der Trioversion lesen wir: „Gestern hatte M. Viardot die Suite für Violine, Violoncello und Klavier von Mme Mel-Bonis aufs Programm gesetzt. Die musikalische Qualität dieser Komposition tritt klar zutage, gut gespielt vom Trio Kellert, dessen Interpretation überkommene und persönliche Traditionen bewahrt. […]“ (Comoedia, 27 avril 1910) 

 

Trois danses

Bourrée op. 62/2
Pavane
op. 81/3
Sarabande
op. 82/2
Besetzung : 2.2.2.2.-4.1.0.0., Perc, Harp,Str

Die Erstausgabe erschien 1909 bei Demets. Widmungsträger sind Pierre Domange, Edouard Domange und Jeanne Domange, die drei Kinder aus ihrer Ehe mit Albert Domange. Mel Bonis greift hier auf den „alten Stil“ zurück, nutzt aber in der Sarabande auch zeitgenössische, in der Bourrée auch orientalisierende Harmonien. Orchester- und Klavierfassung erscheinen gleichzeitig beim Verlag Demets, die Klavierfassungen scheinen allerdings früher entstanden zu sein: die Bourrée erscheint bereits 1904 bei Demets, die Pavane ebenfalls, in einer vierhändigen Fassung in der Februarausgabe der Zeitschrift „Illustration“.

Die Orchester-Sarabande wurde unter der Leitung der Komponistin anlässlich eines „Marathonkonzerts“ der Société Nationale de Musique am 26. April 1906 in Paris uraufgeführt. „[…] Nebenbei gesagt kann man der korrekten und gepflegten Komposition einer ‚Sarabande‘ von Herrn Mel Bonis ein Lob aussprechen, der man weder den Archaismus vorwerfen kann, der in ihrem Titel enthalten ist, noch den modernen Stil, den andere in diese alte Form hineinlegen wollen, die Bach und Rameau zur Blüte gebracht haben und die, so glauben wir, eine Verjüngung vertragen kann.“ A. Sérieyx (Le Courrier musical, 15 mai 1906)

 

Les  Femmes de légende

Ophélie op. 165/2

Salomé op. 100/2

Le Songe de Cléopâtre op. 180/2

Die drei Werke wurden in ihrer Orchesterfassung zu ihren Lebzeiten nicht herausgegeben, die Manuskripte (autografe Partituren und kalligrafierte Einzelstimmen) sind undatiert.

Ursprünglich sind die Femmes de légende acht getrennte Klavierstücke, die als Titel den Namen einer Frau tragen. Fünf von ihnen wurden – angefangen mit Salomé - zwischen 1909 und 1922 bei Leduc herausgegeben. Alle sind dem Komponisten Paul Locard gewidmet. Ophélie für Klavier solo und Le Songe (oder Le Rêve) de Cléopâtre für Klavier zu vier Händen sind zu Lebzeiten von Mel Bonis nicht herausgegeben worden.

Die Orchesterfassungen der drei Stücke folgen eng den Fassungen für Klavier. 

 

Ophélie op.165,2

Besetzung: 3.1(E-Hrn).1.2.-2.2.0.0., Timp, 2, Hrf, Str

Ophelia, Geliebte Hamlets in Shakespeares Tragödie, Opfer der Liebe und zutiefst melancholische Figur, verfällt nach Hamlets Abreise dem Wahnsinn und ertrinkt unter mysteriösen Umständen in einem Fluss. Ophelia hat den Dichter Rimbaud, den Maler Millais und die Komponistin Mel Bonis zu Meisterwerken inspiriert. Mel Bonis‘ Musik spiegelt das Bild des Wassers, der Melancholie und des Todes wieder. Im Pianissimo der Einleitung und des Schlusses lassen glitzernde, langsame Kaskaden in der Harfe in den Hörenden eine Wasserlandschaft erstehen. Vom „tranquille“ an erzählen zunächst Flöten und Streicher in dramatischer Steigerung Ophelias Schmerz und Hamlets Wahnsinn, bis die Takte 50 ff mit ihrem gewaltigen Tutti-Crescendo ihren Schmerz ins Unerträgliche steigern.

Dieses impressionistische Stück mit seinen schillernden Harmonien, seiner zarten und kühlen Schönheit und seinen Momenten voller Leidenschaft ist ein Lobgesang auf das Leben, die Liebe und den Tod.

 

Salomé op. 100/2

Besetzung: 2(Picc).1.2.2.-2.2.0.0., Timp, Hrf, Str

Mel Bonis‘ Bild der biblischen Gestalt der Salomé ist stark orientalisch gefärbt. Einführung und Schluss lassen mit ihrem langsamen und wie aus der Ferne kommenden, von den Kontrabässen getragenen Fünferrhythmus an den Zug einer Karawane denken. Das ‚Modéré‘ ist der berühmte Tanz der sieben Schleier, zunächst langsam und zurückhaltend in der Oboe, dann immer lebhafter und zuerst von den Flöten, dann von den Streichern begleitet. Das ganze Stück lebt vom Wechsel der Atmosphäre: Auf langsame Synkopen folgen leichtfüßige glissandi, quälende und geheimnisvolle Psalmodien begleiten sinnliche Passagen, überraschende Tempowechsel lassen Leidenschaft und Zerstörung die musikalische Gestalt bestimmen.

 

Le Songe de Cléopâtre op. 180

Besetzung: 3.1(E-Hrn).2.2.-4.2.3.0., Timp, Cymb., 2 Hrf, Str

Seinen Abschluss findet der Zyklus mit diesem komplexen und leidenschaftlichen Stück. Mit seinen originellen und eleganten Harmonien, seinen sehnsuchtsvollen Rhythmen, seiner Sinnlichkeit und seinen orientalisch gefärbten Momenten besitzt dieses Stück alle Merkmale der großen Werke der Reifezeit der Komponistin. Mel Bonis nutzt die unbegrenzten Möglichkeiten des großen Orchesters, um in ihrer Musik eine mächtige und verführerische Kleopatra in ihrem prachtvollen Palais vor uns erstehen zu lassen. Sie nimmt sich Zeit, um den musikalischen Diskurs in mehrfachen Wiederholungen den mit Spannung erwarteten Höhepunkten zuzuführen.

 

Fantaisie op. 72,2

Besetzung:Klavier, 2 Flöten, 1 Oboe + Englischhorn, 2 A-Klarinetten, 1 Fagott, 2 Hörner, Pauke, 1 Harfe, Streicher

Orchestrierung von Yves Henry für das Philharmonische Orchester Zwickau-Plauen (2014).

 

Die Fantaisie in Des-Dur für Klavier und Orchester umfasst vier Sätze, die ineinander übergehen: Modéré, Scherzo, Très lent und Final vif.

Das Werk entstand 1906 und wurde 1910 im Rahmen der Pariser Colonne-Konzerte unter Gabriel Piernés Leitung uraufgeführt. Den Klavierpart übernahm Madame Henri Deblauwe. Da die Orchesterpartitur bis jetzt noch nicht gefunden wurde, gab es bis 2014 nur das autografe, auf 1927 datierte Manuskript einer Fassung für Septett mit Klavier, Streichquartett und zwei Flöten. Diese Septettfassung liegt der vorliegenden, 2014 entstandenen Orchesterfassung von Yves Henry zugrunde.

Die Septettfassung erschien 2003 bei der Edition Kossack in Deutschland unter der Bezeichnung „Septett“. Anlässlich dieser Herausgabe der Fantaisie in der Septettversion schrieb Eberhard Mayer in seiner Einleitung: „Es ist ein außerordentlich sorgfältig und konzentriert gearbeitetes Werk, bis in den letzten Takt durchdacht und ausgefeilt, harmonisch abwechslungsreich, von spätromantischen über impressionistische Klänge bis in Grenzbereiche der Tonalität reichend […] Der Klavierpart ist außerordentlich differenziert, farbig und bisweilen sogar virtuos angelegt. […] Die im Scherzo auffällige bizarre Melodik der Streicher, unterlegt durch Achtelketten mit Sekund-Dissonanz-Reibungen […] schafft eine irisierend-unwirkliche und hektische Atmosphäre, die sich erst im Trio in beruhigtem, aber schmerzlichem Wohlklang auflöst. Der folgende langsame Teil wird anfangs von polyphonen Streicherlinien geprägt, die sich zu einem satten Streichquartettklang verdichten […], um danach durch mannigfache romantisch-impressionistische Klangbilder dem anschließenden Prestofinale  zuzustreben, jedoch nicht ohne vorher die Themen des Modéré und des Scherzos in Erinnerung zu bringen […] Ein furioses Presto, diesmal angeführt vom Klavier, beschließt schwungvoll dieses interessante Werk.“

Der Pianist und Komponist Yves Henry äußert sich folgendermaßen: „Als ich dieses Werk in seiner Fassung für Septett entdeckte, hat mich sogleich seine originelle und doch in seiner Zeit verwurzelte Sprache bezaubert. Man spürt zwar den Einfluss César Francks und Faurés, vor allem in der ausgeprägten Nutzung der Chromatik, aber er hindert Mel Bonis in keiner Weise, ihre ganz eigene Identität zum Ausdruck zu bringen. Ihr Ausdrucksreichtum, gepaart mit einer strengen Kompositionstechnik, ist zweifellos einer ihrer großen Vorzüge. Kurz gesagt: Es gibt nicht eine überflüssige Note in diesem Werk. Die Sparsamkeit der Mittel, die Prägnanz in Form und Ausführung zeigen – wenn das noch nötig wäre –, dass es sich hier um ein besonders gelungenes Werk handelt, in dem das Wesentliche, d. h. die Tiefe des Ausdrucks, nie der virtuosen Wirkung untergeordnet wird. […]. Ich hoffe, dass die Pianisten dieses Werk gerne in ihr Repertoire aufnehmen werden, ein Werk, das nicht nur im Schaffen von Mel Bonis einen wichtigen Platz einnimmt, sondern auch unter den Werken des beginnenden 20. Jahrhunderts[…].“

 

Die Melodien mit Orchesterbegleitung

 

Le Ruisseau op. 21,2 (Text : Amédée Landely Hettich)
Für Sopran und Alt (Duo oder Chor) mit Orchesterbegleitung: 1 Flöte,

1 Oboe,1 Klarinette / Kolbenhorn / Harfe oder Klavier / Streicher

Das impressionistisch-bukolische Lied über den Bach mit seiner einprägsamen Melodie und seinen fließenden Harmonien auf einen Text von Amédée Hettich hat die Liebe zum Thema. Mel Bonis hat es ihrer Schwester Louise gewidmet. Es erschien zum ersten Mal 1894 bei Leduc. Das Manuskript der Orchesterfassung ist undatiert.

 

Noël de la Vierge Marie op. 54/2

Für Mezzo-Sopran mit Orchesterbegleitung: 2 Flöten, 1 Oboe, 1 Klarinette , 1 Fagott / 1 Horn / Streicher

Der stark von seiner Zeit geprägte Text ist ein Gebet an die Jungfrau Maria und das Jesuskind. Mel Bonis hat dieser meditativen Weihnachtsmusik die Form eines Wiegenliedes gegeben. Es erschien 1901 in einer Fassung für Mezzo-Sopran und Orgel. Die spätere Orchesterfassung blieb unveröffentlicht.

 

Le Chat sur le toit ou les amours du chat op. 93 (Text: Du Costal)

Für Tenor oder Sopran mit Orchesterbegleitung : 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten in A, 2 Fagotte / 2 Hörner in F / Triangel, Zimbeln / 1 Harfe / Streicher

Dieses Stück ist eine Auftragsarbeit. Mel Bonis wurde gebeten, einen Zyklus von Liedern mit Orchester zu beenden, den Louis Bourgault Ducoudray vor seinem Tod 1910 nicht mehr hatte fertig stellen können. Als Lied für Tenor oder Sopran erschien ‚Le Chat sur le toit‘ bei Senart; die Orchesterfassung blieb unveröffentlicht. Die mit ihren zahlreichen Modulationen anschaulich beschreibende Musik ist feinfühlig und humorvoll. Wellenförmige kleine chromatische Tonleitern unterstreichen das Katzenhafte und die Lebhaftigkeit des Stils.

 

Text: Christine Géliot

Übersetzung: Ingrid Mayer