Eberhard Mayer
Eberhard Mayer

Erste Begegnung mit ihrem Namen

Bei der Lektüre eines seiner Lieblingsbücher, des Handbuchs für Klavierquartettspieler von Wilhelm Altmann aus dem Jahre 1937, stieß mein Mann Eberhard Mayer, Mediziner, Cellist und Gründer unseres Kammermusikensembles immer auf der Suche nach zu Unrecht vergessenen Werken unbekannter Komponisten im Jahr 1984 auf eine Passage, in der die Rede war von einer komponierenden Dame, die etwas sogar Bemerkenswertes zu sagen habe. Und die anschließende Besprechung des Quartetts endete mit dem für die damalige Auffassung bezeichnenden Satz: "niemals wird man dabei auf den Gedanken kommen, dass dieser Schlusssatz von einer Frau geschaffen worden ist" . Die komponierende Dame hieß Mélanie Domange, geb. Bonis, genannt Mel Bonis und die Neugier meines Mannes war geweckt& .

Konzerte und Aktuelles

... und mit ihrer Musik

Bei der Suche nach den Noten wurden wir schließlich in der Pariser Nationalbibliothek fündig: Wir konnten das beschriebene Klavierquartett, eine Flötensonate und eine Cellosonate als Fotokopie mit nach Hause nehmen, aber dann dauerte es noch fast zehn Jahre, bis diese Schätze wirklich zum Leben erweckt, d. h. zum Klingen gebracht wurden. Die großen Kammermusikwerke von Mel Bonis stellen erhebliche technische Anforderungen, vor allem an den Pianisten. Die besondere Vorliebe der Komponistin für entlegene Tonarten, chromatische Passagen und komplizierte Rhythmen führen dazu, dass sich die beabsichtigte klangliche Wirkung kaum beim ersten Durchspielen erzielen lässt und man legt das Werk entmutigt aus der Hand.

Das änderte sich, als 1994 der Pianist Friedwart Goebels zu unserem Ensemble stieß. Unter seinen Händen und natürlich denen der übrigen Ensemblemitglieder - entwickelten die aus Paris mitgebrachten Werke endlich den Zauber, der die Zuhörer unserer Konzerte von Beginn an in ihren Bann ziehen sollte. Das war der eigentliche Auftakt zur Mel-Bonis-Renaissance. Die drei Werke, die wir als Kopie besaßen, wurden in fast alle unsere Konzertprogramme eingebaut und mit Begeisterung aufgenommen und die Frage wurde immer drängender: Wer ist das eigentlich, diese Mel Bonis?

Spurensuche

Briefe an Bibliotheken und Frauenmusikvereine, Bürgermeisterämter und Kirchen in Frankreich wurden zum Teil freundlich beantwortet, blieben aber ohne greifbares Ergebnis, bis uns der Kontakt mit der SACEM, dem französischen Gegenstück zur deutschen GEMA, schließlich beim zweiten Anlauf 1996 mit Yvette Domange zusammenführte, einer Enkelin von Mel Bonis und Inhaberin der Rechte an ihren Werken.

Das brachte eine wahre Lawine ins Rollen: Wir wurden nach einem ersten Besuch bei ihr 1997 nach Paris eingeladen, wo wir der völlig verblüfften Familie und deren Freunden und Bekannten die Werke ihrer fast ganz vergessenen Ahnin vorspielten.

Mel Bonis dem Vergessen entrissen

Zurück in Deutschland und reich beschenkt mit neuem Notenmaterial aus dem Keller von Yvette Domange, veranstalteten wir weiter in Nah und Fern Konzerte, jetzt Portrait-Konzerte , da wir ja vieles zu erzählen wussten; mein Mann stellte Mel Bonis in Rundfunksendungen und Fachzeitschriften vor; wir wirkten bei zwei Mel-Bonis-Festivals in der Schweiz mit und begaben uns vor allem auf die Suche nach Verlagen, die bereit waren, eine völlig unbekannte Komponistin, noch dazu eine Frau, in ihr Programm aufzunehmen. So entstand eine fruchtbare und bis heute bestehende Zusammenarbeit mit der Edition Kossack in Rheinfelden und dem auf komponierende Frauen spezialisierten Verlag Furore in Kassel.

Und auch Frankreich wachte auf: Die Urenkelin Christine Geliot schrieb einen biographischen Roman über ihre Urgroßmutter und gründete im Jahr 2000 die Association Mel Bonis , die sich inzwischen zu einer Keimzelle der Mel-Bonis-Renaissance in Frankreich entwickelt hat.

Bis zu seinem Tod im Jahr 2005 war die wichtigste Aufgabe für meinen Mann, das Weiterleben ihrer Musik durch die Neuausgabe ihrer Werke zu sichern. Er hat diese Aufgabe fast erfüllt: die wichtigsten Werke von Mel Bonis sind inzwischen im Musikalienhandel erhältlich, und seine editorische Arbeit wird in seinem Sinn von mir fortgesetzt.

Ingrid Mayer